Zweifellos
waren es die Sänger, die für einen breiten
Bekanntheitsgrad des kleinen Niederlausitzer Städtchens
Finsterwalde sorgten. Aber die Stadt ist älter als
ihre Sänger und natürlich auch älter als ihr Ruf
als Sängerstadt. Aus der Zeit des Hochmittelalters
empfangen wir die erste Nachricht, die einen Hinweis
auf Finsterwalde zulässt. Im Jahre 1282 wird eine
geographisch genau festzulegende Örtlichkeit "Vynsterwalde"
in einer Urkunde erwähnt, in der ein "Dominus
Heinemanus de Vynsterwalde" als Zeuge eines
Vertragsabschlusses auftrat. Von einer Stadt oder
wenigstens einer Ansiedlung in der unmittelbaren
Umgebung der befestigten Anlage erfahren wir
erstmals durch eine Urkunde aus dem Jahre 1301. In
der Reihe der dort aufgeführten Örtlichkeiten der
Niederlausitz finden wir die Formulierung "oppidum
et castum Finsterwalde". Das wird gewöhnlich
mit "Stadt und Schloss Finsterwalde" übersetzt.
Jedoch im Latein der damaligen Zeit bedeutet "oppidum"
meist Marktflecken. Die Existenz einer Stadt mit den
entsprechenden Rechten kann davon nicht mit
Bestimmtheit abgeleitet werden. Diese eindeutige
Bezeichnung Finsterwaldes als Stadt beinhaltet erst
ein historisches Dokument des Jahres 1336.
Finsterwalde stellt in seiner ursprünglichen
Struktur eine typische ostelbische Kolonistenstadt
dar. Rechtwinklig aufeinandertreffende Straßen
bilden viereckige Quartiere, die sich um den relativ
großen Marktplatz gruppieren. Das Siedlungsgelände
innerhalb des Stadtgrabens, Finsterwalde besaß
keine Stadtmauer, hatte eine Größe von gewiss
nicht mehr als 11 Hektar. Das Aussehen der zwei
Stadttore, eines nach Osten am Ende der Langen Straße
und eines nach Norden in der Höhe des Engpasses,
ist nicht überliefert. Die Siedler haben ihren
Lebensunterhalt ursprünglich in erster Linie als
Ackerbürger verdient. Die Lage der Stadt an
bedeutenden Handelswegen von Leipzig über Torgau
und Spremberg nach Breslau (Niedere Straße) und dem
Abzweig der Salzstraße nach Jüterbog, Niemegk ließ
gewiss auch die Beteiligung einiger Bürger an
Handelsgeschäften zu. Vom Spätmittelalter bis weit
in die Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte in der
Stadt jedoch das Tuchmachergewerbe, das in seinem
Ursprung gewiss auf flämische Kolonisten zurückzuführen
ist. Während sich in der Stadt Finsterwalde langsam
ein bescheidenes bürgerliches Gemeinwesen auf einer
einfachen, aber soliden wirtschaftlichen Grundlage
organisierte, traten die Herren der Besitzung
Finsterwalde als Raubritter eher als destruktive Kräfte
auf. Besonders schlimm trieb es die Adelsfamilie von
Gorenzen. Ihre beständigen Überfälle auf
vorbeiziehende Handelswagen gefährdeten sogar die
Stadt Finsterwalde, weil sie einen vergeltenden
Heerzug des mächtigen Lausitzer Städtebundes
provozierte. 1413 wurde die Burg von Landsknechten
des Bundes belagert und die Herren von Gorenzen
vertrieben. 1437 endete mit der Übernahme durch die
Familie von Maltitz der schnelle Besitzerwechsel der
Herrschaft Finsterwalde. Für nahezu ein Jahrhundert
blieb Finsterwalde in dieser Hand. Anstelle des
mittelalterlichen Raubritternestes schufen die von
Maltitz die Grundlage der großzügigen heutigen
Schlossanlage. Aber erst dem Adelsgeschlecht derer
von Dieskau (1533 - 1625) war es vorbehalten, das
Renaissance-Schloß zu gestalten, das in
wesentlichen Zügen noch heute ein prägendes
Baudenkmal in unserer Stadt Finsterwalde darstellt.
Auch im städtischen Bereich des 16. Jahrhunderts
sind nachhaltige und die Kommune prägende Prozesse
zu verzeichnen. Die gewerbliche Tuchherstellung war
zum absolut wichtigsten Wirtschaftszweig geworden.
Die Bürger vertraten selbstbewusst ihre Interessen.
So widersetzten sie sich 1525 erfolgreich dem
Versuch der Aneignung der für die Tuchmacher
lebenswichtigen Heidemühle durch die adligen Herren
von Minckwitz. Die Tuchmacherzunft selbst erwarb sie
und konnte damit ihre Position weiter stärken.1555
war Finsterwalder Tuch erstmals auf der Leipziger
Messe vertreten. Die 1539 auch in Finsterwalde
durchgeführte Reformation entsprach den Bedürfnissen
dieser nach Loslösung
von
der mittelalterlichen Geisteswelt strebenden
Zeit. Der Neubau der Kirche, so wie wir sie
heute als Trinitatiskirche kennen, auf den
Grundmauern des alten Gotteshauses, war eine
logische Konsequenz. Bürgerliches, städtisches
Leben entfaltete sich nun sichtbar in vielfältigen
Bereichen. So entstand 1565 die Kantorei,
die den lutherischen Gemeindegesang pflegte,
wir erfahren von einer Lateinschule, und in
der Schützengilde übten die Bürger ihr
scharfes Auge und ihre sichere Hand. Der
nicht zu übersehende Aufschwung für die
Stadt Finsterwalde beruhte in erster Linie
auf dem Fleiß und dem Gemeinsinn ihrer Bürger,
aber das gute Einvernehmen mit den Herren
auf dem Schloss, der Familie von Dieskau,
war ein nicht zu unterschätzendes förderndes
Element. Diese Blütezeit wurde im Jahre
1599 jäh unterbrochen. Die Pest forderte
400 Tote. 1625 mussten die Dieskauer ihre
Herrschaft verkaufen. Finsterwalde gelangte
in den unmittelbaren Besitz des sächsischen
Kurfürsten Georg I. Das Schloss diente
lediglich als Amtssitz für die kurfürstlichen
und von 1652 bis 1738 sächsisch-merseburgischen
Behörden. 1642 schließlich plünderten
marodierende Truppen in der Spätphase des
Dreißigjährigen Krieges Stadt und Schloss.
Das städtische Gewerbe und Gemeinwesen lag
nun für Jahrzehnte danieder. Als 1675 bei
einem großen Stadtbrand das Rathaus
vernichtet wurde, war die Bürgerschaft erst
1739 in der Lage, ein neues Gebäude
aufzurichten. Der schlichte Barockbau
dominiert noch heute den Marktbereich. 1815
gelangte Finsterwalde im Ergebnis des Wiener
Kongresses zum Königreich Preußen. Mit der
Einführung der preußischen Städteordnung
wurde auch die de facto bestehende Unabhängigkeit
der städtischen Selbstverwaltung von den
Beamten des Amtsbezirkes im Schloss
juristisch vollzogen. Der allgemeine
industrielle Aufschwung im 19. Jahrhundert lässt
sich in Finsterwalde nahezu exemplarisch
nachvollziehen. Es war wiederum die
Tuchproduktion, die die wirtschaftliche
Entwicklung der Stadt ganz nachhaltig
beeinflusste. Aber die kleinen zünftlerischen
Handwerksbetriebe bestimmten nun nicht mehr
das Bild, sondern einige wenige, aber
leistungsfähige Tuchfabriken. Das
bedeutendste Unternehmen der Branche war F.
F. Koswigs Tuchfabrik, die sich in der Beschäftigtenzahl
von 3 Arbeitern 1838 auf 760 Arbeiter und
Angestellte im Jahre 1913 steigerte. Die
Tuchfabrikation war der Motor für andere
industrielle Bereiche und die Schaffung
einer erstaunlich vielfältigen
wirtschaftlichen Infrastruktur. Betriebe der
Metall-, Holz- , Glas-, Tabak-, Chemie- und
später der Elektromaschinenbranche
siedelten sich an. Der Anschluss an das
Eisenbahnnetz wurde 1871 mit dem Bau der
Linie Halle- Sorau vollzogen. Am Ende des
vorigen Jahrhunderts bezeichnete sich die
Stadt selbstbewusst als "Fabrikstadt
Finsterwalde". Die Steigerung der
Einwohnerzahl von 1600 im Jahre 1800 auf
10726 im Jahre 1900 ist beredtes Zeugnis
dieser Entwicklung. Nun platzte die Stadt in
ihrer Ausdehnung aus den Nähten der
mittelalterlichen Siedlungsfläche. Neu
entstandene Wohn- und Gewerbegebiete ziehen
sich wie ein Gürtel um den ursprünglichen
Kern der Stadt. Gebäude des
wirtschaftlichen und kommunalen Lebens, die
noch heute das Stadtbild mitprägen, wurden
bis zum ersten Weltkrieg errichtet: Die Mädchenschule
(1868), die Realschule (1905), die
Knabenschule (1913), das Amtsgericht (1885),
das Krankenhaus (1908), die Katholische
Kirche (1906), der Wasserturm (1909/1910),
die Post (1915). Auch heute ist Finsterwalde
ein bedeutender Wirtschaftsstandort in der
westlichen Niederlausitz. Aber das Symbol
von der Fabrikstadt, das noch sehr an das
Bild rußiger Schornsteine erinnert, ist
durch den Ruf Finsterwaldes als Sängerstadt
ersetzt. Die Ursache dafür liegt nicht in
erster Linie in der langen Tradition der
hiesigen Sangespflege, sondern hauptsächlich
darin, daß ein Lied, ein Gassenhauer, die
Finsterwalder als besonders sangesfreudig
benennt. Dieser unverwüstliche Hit, der zum
Repertoire jeder fröhlichen Feier gehört,
entstand 1899 als Teil eines Theaterstückes.
Die darauf beruhenden Liedvarianten, die bis
in die heutige Zeit neu entstehen und
erklingen, besingen zu Recht das schöne und
sangeslustige Städtchen Finsterwalde.
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